Evangelisches Rüstzeitheim
Mit seinem Rüstzeitheim stellte Walter Schilling, der Pfarrer von Braunsdorf, in den 1970er/1980er Jahren unangepassten Jugendlichen einen Zufluchtsort und Schutzraum zur Verfügung, der ihnen Möglichkeiten zur freien Selbstentfaltung bot.
Der historische Ort
In seiner Funktion als Kreisjugend- und Gemeindepfarrer der Thüringer Kirche begann Walter Schilling (1930-2013) hier 1959 mit dem Ausbau eines alten Stallgebäudes zu einem kirchlichen Jugend- und Freizeitheim, das unter seiner Leitung, ab 1968 als Rüstzeitheim für Jugendliche genutzt wurde. Trafen sich anfänglich Jugendliche aus dem Raum Saalfeld/Rudolstadt, entwickelte sich der Ort unter der Regie von Schilling in den 1970er Jahren zu einem Pilgerort vor allem für unangepasste und vom System kriminalisierte Jugendliche aus der ganzen DDR, wie etwa Blueser, Hippies, Tramper und Punks.
Mit dem Mauerbau von 1961 samt Grenzschließung, der auch der „geistigen ‚Grenzgängerei‘ Einhalt gebieten“ und den „Erziehungsraum begrenzen“ sollte, spätestens aber mit dem Jugendgesetz von 1964 und dem Bildungs- und Familiengesetz von 1965 hatte sich die Situation für andersdenkende Jugendliche in der DDR drastisch verschärft und der Konformitätsdruck, sich zu einer sozialistischen Persönlichkeit zu bekennen und zu entwickeln, stieg. Jugendliche, die nicht dem sozialistischen Lebens- und Verhaltensideal entsprachen, wurden vom SED-Regime zum „inneren Feind“ stilisiert und oft bewusst von öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen.
Nicht selten verbanden daher viele Jugendliche mit der Kirche die Hoffnung, Freiräume jenseits staatlicher Strukturen nutzen zu können. Hier bot der von Schilling praktizierte Ansatz der „Offenen Arbeit“ (OA) eine Möglichkeit. Höhepunkte dieser Selbstverwirklichung waren thematische Werkstattwochenenden (June 78, June 79 und Jugend 86) im benachbarten Rudolstadt, zu denen 1.000 bis 2.000 Teilnehmer aus der ganzen DDR anreisten und die als Vorläufer der ab 1979 in Berlin von Rainer Eppelmann organisierten Bluesmessen gelten können. Gerade diese Großereignisse von überregionaler Bedeutung riefen die Staatsmacht auf den Plan.
Das MfS sah in der OA eine Politisierung von „Asozialen“ und stufte diese in ihren Berichten als „Politische Untergrundtätigkeit (PUT)“ ein. Die Unterwanderung der OA mit zahlreichen Spitzeln war die Folge. Gegen Schilling wurden vom MfS die Operativen Vorgänge (OV) „Reaktionär“, „Plakat“ und „Spinne“ angelegt und entsprechende „Zersetzungsmaßnahmen“ eingeleitet. 1974 erfolgte auf Druck des Landeskirchenrats die Absetzung Walter Schillings als Leiter und 1980 die endgültige Schließung des Rüstzeitheims durch das MfS aus „hygienischen Gründen“.
Erst 1990 wurde Schilling wieder als Leiter eingesetzt. Seit Ende 2012 befindet sich das Rüstzeitheim in der Trägerschaft des Christlichen Vereins Junger Menschen Thüringen (CVJM).
Meilensteine
Ganz im Sinne des partizipatorischen Ansatzes des DENKOrte-Projekts, mit dem Projekttragenden als Impulsgeber und dem Einbeziehen lokaler Akteure vor Ort, entwickelt sich in Braunsdorf ein überaus lebhafter (DENK)Ort des Miteinanders.
Offene Woche und im Rüstzeitheim Braunsdorf, 1. – 8.9.2020
In Anlehnung an die Offenen Werkstattwochenenden in den 1970er/ 1980er Jahren in Braunsdorf und Rudolstadt, fand vom 1.-8.9.2020 eine Offene Woche im Rüstzeitheim in Braunsdorf statt, gemeinsam mit vielen Zeitzeugen und Wegbegleitern Walter Schillings. Es gab Wanderungen, Konzerte und Diskussionsrunden zu tagespolitischen Themen.
Auch 2021 soll wieder eine „Offene Zeit am DENKOrt Braunsdorf“ stattfinden. Geplant ist eine Werkstattwoche vom 24.8.-31.8.2021.
Airtramp-Konzert im Haus Braunsdorf
Am 4.9.2020 gab „Airtramp“, im Rahmen der Offenen Zeit, in Braunsdorf ein Konzert mit „Liedern aus dem Untergrund“. Oliver Jahn, Sänger der Band und Zeitzeuge, ließ seine Erinnerungen und Eindrücke einfließen. Er berichtete über die Bedeutung der Offenen Arbeit und seine Zeit mit Walter Schilling.
Konzertabend mit Airtramp am 4.9.2020 vor dem Rüstzeiteim in Braunsdorf, Foto: Peter Wensierski